Als Türmerin zu einem Stadtrundgang am 21.10.2023  unterwegs.

Anlass war ein zweifacher runder Geburtstag.

60 Jahre Küchwaldbühne – ein Blick in die Geschichte und hinter die Kulissen

Datum: Sonntag, 13.09.2020
Um: 11:00 Uhr, 14:00 Uhr, Dauer 1 Std.

Treffpunkt: Küchwaldschänke
Preis: kostenlos, um Spenden für den weiteren Ausbau der Küchwaldbühne wird gebeten

Inhalt: Die Führung bietet Ihnen Einblicke in die 60-jährige bewegte Geschichte dieser, das kulturelle Leben der Stadt prägenden, Einrichtung und gewährt Ihnen manch spektakulären Blick hinter die Kulissen. 

Veranstalter: Gästeführerin Veronika Leonhardt  (01742-336609)

Geschichten aus Chemnitz – 1948 – Konkurrenz für schöne Beine –

ARWA
Zur Leipziger Messe hörte die Welt von dem hauchzarten Damenstrumpf aus Perlon, der in den Arwa-Werken im Chemnitzer Strumpfgebiet geschaffen wurde.
Der westliche Nylonstrumpf hatte am 29. September 1948 offiziell eine gleichwertige Konkurrrenz erhalten.
 
August Robert Wieland  entstammte einer armen Strumpfwirkerfamilie. 1880 kaufte er mit finanzieller Hilfe seiner Eltern die erste eigene Maschine zur Strumpfherstellung, später kamen noch mehrere andere Maschinen dazu.
 
Wohnhaus Wieland
 
 
 
Im Haus Am Anger 5 in Auerbach (Erzgebirge) wirkte A. Robert Wieland 1881–1891 Strümpfe. 
 
Schließlich verwirklichte er mit drei weiteren Teilhabern seinen Traum von einer eigenen Strumpffabrik. Nach und nach konnte er die Teilhaber auszahlen und wurde alleiniger Fabrikbesitzer, der 1897 bereits 50 Arbeiter beschäftigte. Mit Hilfe seines Schwiegersohnes Paul Thierfelder erfand er ein Verfahren, bei dem Strümpfe mit Ferse in einem Arbeitsgang hergestellt werden können. Zwischen 1920 und 1930 erlebte die Firma ihre größte Blüte. 1920 ließ Robert Wieland in Auerbach eine neue Fabrik bauen, die in den folgenden Jahren immer weiter um- bzw. ausgebaut wurde. Weitere Neubauten folgten. 1921 waren mehr als 400 Arbeiter bei Wieland beschäftigt. 1927 entstand der Markenname „ARWA“ für August Robert Wieland Auerbach.
 
Nach der Insolvenz der Sächsische Sägen- und Federstahlwarenfabrik Emil Riedel zog am 1.3.1928 die Strumpffabrik „ARWA“ (August Robert Wieland Auerbach) in das Fabrikgebäude an der Oststraße 137 ein. Hier arbeiteten anfangs 100 Beschäftigte – vor allem Frauen. Betriebsleiter des neuen Chemnitzer Zweigwerkes war Alwin Fischer. Der Firmenname wurde nun geändert in „A. Robert Wieland Feinstrumpf-Großwerke Auerbach und Chemnitz“. Produziert wurde weiterhin in Auerbach, dann kamen die Strümpfe nach Chemnitz in die Färberei Förster auf der Limbacher Straße und wurden von dort in die Oststraße 137 gebracht. Hier erfolgte die Appretur (Formgebung), Aufmachung (Sortieren, Kennzeichnen, Falten und Verpacken), sowie der Versand. In die Fabrik an der Oststraße zogen auch das Stadtkontor und die Verkaufsräume, die sich vorher in der Lohstraße befunden hatten.
 
Wieland setzte sich für grundlegende Änderungen bei der Lehrlingsausbildung ein. Er hatte die erste und einzige Lehrlingswerkstatt für Wirkerlehrlinge in dieser Zeit in Sachsen. Für auswärtige Lehrlinge wurde ein Wohnheim eingerichtet. Für die Angestellten gab es Duschen und Waschräume. Im Chemnitzer Firmengelände gab es sogar ein kleines Schwimmbad, welches in der Mittagspause genutzt werden konnte. 1937 organisierte er für 800 Mitarbeiter eine einwöchige Urlaubsreise mit einem Sonderzug nach Oberbayern.
 
Inzwischen war die Beschäftigtenzahl in Chemnitz nach zehn Jahren auf 200 gestiegen. Als Wieland 1939 das Chemnitzer Unternehmen „Textilsyndikat GmbH – Tesyra (Textilsyndikat Hans Thierfelder KG & Herbert Dittrich AG Meinersdorf) kauft, wächst die Zahl der Beschäftigten auf 1.170 an, die in seinen Werken in Auerbach, Chemnitz, Gelenau, Meinersdorf und Zwönitz arbeiten.
 
1940 stirbt August Robert Wieland, seine Tochter Rosa übernimmt nun die Leitung der Firma. Wielands Enkel Hans Thierfelder wurde bereits 1936 Prokura erteilt. Er wurde 1937 von seinem Großvater zum Betriebsführer bestellt, hatte jedoch selbst keine Anteile am Unternehmen. Er führte nach seinem Kriegsdienst die Firma weiter. Doch bereits am 30.6.1946 wurde die Firma per Volksentscheid enteignet, da „ARWA“ an der Rüstungsproduktion beteiligt war. Hans Thierfelder zog mit seiner Frau nach West-Berlin und baute später in der Bundesrepublik eine neue Strumpffabrik „ARWA“ auf.
 
Noch bis 1956 war der enteignete Betrieb in Chemnitz präsent, wurde aber mit Betrieben anderer enteigneter Strumpfhersteller zusammengefasst in den VEB ESDA Thalheim und schließlich aus Chemnitz verlegt.
Nach der Enteignung von ARWA 1946 1946 bezog  der VEB Federnwerk Karl-Marx-Stadt den Industriestandort.
 
Bei dem Unternehmen ARWA handelte es sich neben dem von Louis Bahner in Oberlungwitz (Marke ELBEO) um einen der größten Strumpfwarenhersteller in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Marke ARWA wurde später zu einem Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders und galt durch die Wurzeln in der erzgebirgischen Wirkertradition lange Zeit als Traditionsunternehmen.
 
Die Bildmarke in zeitgenössischer expressionistischer Grafik zeigt eine senkrecht nach unten gerichtete rote Pfeilspitze, die oben in der abstrahierten Form einer fünfzackigen Krone endet, und in deren Mitte ein schwarzer Damenstrumpf abgebildet ist. Unter dem Pfeil befinden sich die vier schwarzen Buchstaben mit jeweils einer schwarzen Raute in den Buchstaben-Zwischenräumen. Den unteren Abschluss bildet ein liegender roter Balken, dessen Enden die Neigung der beiden Buchstaben A aufnehmen, wodurch ein der Pfeilspitze entgegen nach oben weisendes Dreieck angedeutet wird. Schöpfer der Marke waren August Robert Wieland und dessen Sohn Max Robert Wieland. Sie ließen sie als Warenmarke in vielen Ländern Europas und den USA eintragen.
 
Ende der 1930er Jahre wurde neben dieser Marke eine weitere entwickelt: die Buchstaben ARWA in weiß auf rotem Grund. Beide Marken fanden bis 1946 Anwendung.
 
Nachdem das Stammwerk in Auerbach in der damaligen sowjetischen Besatzungszone durch den Volksentscheid vom 30. Juni 1946 enteignet worden war, wurde es der Industriezweigeleitung Wirkerei unterstellt. Später ging die Verwaltung auf die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Trikotagen und Strümpfe über. Im Jahr 1948 entstand der neue Markenname Esda (Erzgebirgische Spezial Damenstrümpfe Auerbach), da der alte Markenname im neuen sozialistischen System nicht mehr bestehen sollte.
 
Hans Thierfelder, Enkel des Firmengründers A. Robert Wieland, gründete im Jahr 1948 im württembergischen Backnang eine Strumpffabrik mit dem Namen ARWA, die kurze Zeit später nach Unterrot, einem heutigen Ortsteil der Stadt Gaildorf, verlagert wurde. Beibehalten wurde die Bildmarke (weiße Schrift auf rotem Grund). Der fünfzackige Pfeil fand keine Verwendung mehr. Ab diesem Zeitpunkt gab es den Namen und die Marke ARWA nur noch in Westdeutschland. Im September 1973 musste sich der Konzern der Konkurrenz beugen und wurde vom Konzern Hudson (jetzt Kunert Fashion) übernommen.

15. Mai 2015 – 15. Mai 2020 – Erinnerung an ein Gesicht der Stadt –

Stefan Weber und Veronika Leonhardt

An einem warmen Sommerabend im Jahre 1970 saß Stefan Weber nach einer Chorprobe in der Schlosskirche mit dem Kantor noch auf ein Pils in einem nahen Biergarten, als er im Kirchturm Licht erspähte. Er fragte, ob dort oben wohl noch jemand wohne. Die Antwort lautete: „Nein, aber wenn Du willst, kannst Du sofort einziehen…“ Und der damals 28-Jährige wollte! Von Kindesbeinen an liebte er nicht nur alte Kirchen, sondern Chemnitz samt Geschichte. So kam die Stadt plötzlich wieder zu einem Türmer, eine Tradition, die hier immerhin seit 1488 überliefert ist.

Der gelernte Maschinenbauer baute sich die 60 Quadratmeter große Türmerwohnung aus und mußte jedes Möbelteil über eine enge Wendeltreppe 130 Stufen hinauf buckeln. Die Miete wurde bis zur Wende mit Arbeitsleistungen verrechnet – dem Aufziehen der Turmuhr und dem Läuten der Glocken vor den Gottesdiensten. Die Unannehmlichkeiten nahm er dafür gern in Kauf. Die Wohnung besaß kein Bad und war durch das ungedämmte Gemäuer im Winter ziehmlich kalt. So wohnte Stefan Weber mehr als 35 Jahr im wertvollsten Baudenkmal von Chemnitz, nicht ganz allein – lange Zeit mit Kater Kasimir.

Ende der 80er-Jahre gesellte sich zum Wohnturm noch ein Dienstturm hinzu – der Hohe Turm der Stadtkirche St. Jacobi, traditioneller Türmersitz der Stadt. Ab 1846 war die Türmerstube leer geblieben. Sie wieder zu füllen, sei ein langer Weg gewesen, räumte Stefan Weber ein. Nach anfänglichen Probeauftritten und Rufen über die Stadt wurde das Hobby zum Beruf – einzigartig in einer deutschen Großstadt. Traditionell nutzte er eine nostalgische „Flüstertüte“ und hielt sich im Inhalt und Anlass seiner Verkündigungen streng an historische Vorgaben, so begann jeder Ruf mit: „Hört ihr Leut und lasst euch sagen…“ Am 1. März 1991 begann seine Tätigkeit als hauptamtlich bestellter Türmer von Chemnitz.

Im historischen Gewand führte er schätzungsweise 200.000 Gäste durch die Stadt und ihr Rathaus – Einheimische und Touristen aus allen deutschen Landstrichen, aus europäischen Ländern und von anderen Kontinenten. Am 17. September 2007 feierte er seinen 65. Geburtstag. Das Renteneintrittsalter hielt ihn jedoch nicht ab, weiter Gäste durch das Rathaus zu begleiten und ihnen vom Turm aus die Vorzüge seiner Heimatstadt zu schildern. Diesen nunmehr ehrenamtlichen Einsatz ehrte die Stadt im Herbst 2010 im Rahmen eines Festaktes für Ehrenamtler. Stefan Weber wirkte an mehreren Buchveröffentlichungen zu Chemnitz mit und war in seiner Freizeit ein begeisterter Maler.

Seine Motive, die meist Chemnitz zeigen, sind im Ratskeller des Neuen Rathauses und im Restaurant „Miramar“ auf dem Schlossberg zu sehen. Er war das Gesicht der Stadt – eine Institution, ein Markenzeichen und ein geschätzter Werbeträger. Kaum ein anderer wurde so häufig fotografiert und gefilmt wie der Türmer. Zudem war der Mann mit dem schwarzen Hut ein gefragter Referent. Stefan Weber brachte es auf 300 Vorträge zur Stadtgeschichte. Auch in der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft schrieb er Geschichte, war ein herausragender Botschafter der Stadt und organisierte 2003 maßgeblich das 18. Europäische Nachtwächter- und Türmertreffen und 2011 das Türmertreffen in Chemnitz – das erste Mal im Osten Deutschlands. Der Beruf war ihm Berufung: Sein Ruf „Hört Ihr Leut‘ und lasst Euch sagen…“ vom Turm über dem Markt ist unvergessen. So wie auch die Person Stefan Weber für immer sichtbar bleiben wird – sein Gesicht ist im figürlichen Glockenspiel am Rathaus verewigt.

Am 17. September 2012 feierte der langjährige Chemnitzer Türmer Stefan Weber seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass verlieh die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig dem Jubilar für sein langjähriges Wirken in Chemnitz am 28. September 2012 den Ehrenpreis der Stadt Chemnitz. Zudem trug sich Stefan Weber in das Goldene Buch der Stadt ein. Die Laudatio für ihn hielt der Leiter des Schlossbergmuseums Chemnitz, Uwe Fiedler. Dem Festakt wohnten, neben der Stadtspitze, auch Vertreter aus Politik und Gesellschaft sowie deutsche und internationale Zunftkollegen bei. Schon als Jugendlicher hatte er sich intensiv mit der Stadtgeschichte beschäftigt, sammelte Bilder und Dokumente.

Jahrzehnte später stellte er uneigennützig auch historisch wertvolle Dokumente aus seinem persönlichen Besitz der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Geschichte der Stadt an kommende Generationen weitergeben – das war sein Credo. Mit Stefan Weber verloren wir einen der großartigsten, leidenschaftlichsten Botschafter für unsere Stadt der wie kein anderer seine Zuhörer mit Geschichten und Anekdoten in den Bann ziehen konnte. Chemnitz war sein Leben.

Ich hatte das große Glück, mit Stefan Weber gemeinsam eine Wegstrecke gehen zu dürfen. Dazu gehörten gemeinsam konzipierte Stadtführungen, wie beliebte „Drei-Türme-Tour“. Für große Aufmerksamtkeit sorgten die Auftritte als Skt. Nicolaus und Chemnitzer Weihnachtsengel in der Adventszeit.

Bereits im Jahre 2011, zum 100-jährigen Jubiläum des Neuen Chemnitzer Rathauses, gab es seitens des engagierten Türmers Bestrebungen zur Wiederanbringung der beiden Supraporten im Ratssaal: „DES RATES BLICK IST DER STADT GESCHICK“ und „GEWAEHRENUND VERSAGEN BEIDES VON LIEBE GETRAGEN“.
Diese Detailergänzung wurde auf Grund der damals anstehenden großen Projekte „Restaurierung Stadtverordnetensaal“ verschoben. Die Bestrebungen wurden im Anschluss von Stefan Weber und mir weitergeführt. Leider konnte das Ziel nicht mehr gemeinsam weiter verfolgt werden. In seinem Sinne führe ich dieses Projekt weiter – nunmehr mit der Unterstützung des Vereins der Gästeführer Chemnitz e.V.

Video mit Stefan Weber auf Vimeo

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